Der Sehtest ist für die augenheilkundliche Diagnostik eine unentbehrliche Methode. Mit ihm kann auf einfache Weise die Hauptfunktion des Auges untersucht werden - das Sehen. Der Sehtest gehört zu den absoluten Grundlagenuntersuchungen und sollte auch vorgenommen werden, wenn keine Sehverschlechterung bemerkt wird - weil ein Sehverlust auf einem Auge subjektiv oft durch das andere Auge kompensiert wird, sowie auch aus Dokumentationsgründen.
Der Visus bezeichnet die Sehschärfe. Das ist die Fähigkeit des Auges, in einem bestimmten Abstand zwei nahe beieinander liegende Punkte gerade noch unterscheiden zu können. Der Visus kann durch einen Sehtest ohne Korrektur der Fehlsichtigkeit bestimmt werden (Visus s.c. = sine correctione, auch: Sehleistung), wichtiger ist in den meisten Fällen aber die Visuserhebung mit Korrektur (Visus c.c. = cum correctione).
Der Visus wird, ohne eine bestimmte Maßeinheit, in Dezimalzahlen angegeben. So beträgt der Visus beispielsweise 1,0 (normale Sehschärfe), wenn zwischen zwei Punkten unterschieden werden kann, die einen Abstand von einer Winkelminute voneinander haben. Kann eine Person nur noch Punkte in einem Abstand von vier Winkelminuten unterscheiden, so beträgt der Visus 0,25 (1/4). Der Normalwert des Visus ist nur ein Durchschnittswert, es gibt auch Menschen, die eine höhere Sehschärfe als 1,0 erreichen (z. B. 1,25). Den Visus in Prozentwerten anzugeben, ist aus augenärztlicher Sicht nicht sinnvoll.
Beim Seh-Schärfetest wird die Sehschärfe überprüft. Zuerst wird die Sehschärfe in der Ferne getestet. Dies erfolgt an jedem Auge einzeln. Das andere Auge muss blickdicht abgedeckt werden, beispielsweise mit der Handfläche, einem Stück Pappe (das hinter die Brille gesteckt wird) oder einer Augenklappe. Meist wird erst der Visus ohne Korrektur geprüft (dies ist in der Praxis nicht immer notwendig), dann mit Korrektur. Die Korrektur kann mit der eigenen Brille oder mit speziellen Korrekturgläsern erfolgen. Mit letzteren ist es auch möglich, eine genaue Bestimmung der benötigten Brillengläser vorzunehmen (Bestimmung der Refraktion).
Können in 5 m Entfernung keine Zeichen erkannt werden, so wird dem Patienten eine Sehtafel in 1 m Entfernung vorgehalten. Wenn auch auf dieser Tafel keine Zeichen zu erkennen sind, muss der Patient die Finger einer vorgehaltenen Hand zählen, eine Handbewegung erkennen oder den Lichtschein einer direkt ins Auge leuchtenden Arztlampe wahrnehmen.
Ist eine Prüfung des Nahvisus erforderlich, so wird diese in ähnlicher Weise mit kleinen Sehprobentafeln durchgeführt. Diese werden in einem Abstand von ca. 30 cm vor das Auge gehalten.
Um festzustellen, ob eine Rot-Grün-Schwäche, Rot-Grün-Blindheit oder eine andere Form der Farbschwäche oder Farbenblindheit vorliegt, gibt es verschiedene Tests. Der Standardtest ist das Vorführen von Ishihara-Farbtafeln. Auf diesen sind Punkte verschiedener Helligkeit und Farbe in einer bestimmten Anordnung abgedruckt, so dass nur der Farbtüchtige darauf Zahlen erkennt. Zur genauen Untersuchung der Farbschwäche sind verschiedene Farbvergleichstests notwendig (z. B. Nagel-Anomaloskop).
Beim Amsler-Test handelt es sich um ein diagnostisches Verfahren, zur Untersuchung der Netzhaut. Der Test wird häufig eingesetzt, um Krankheiten wie Makuladegeneration, diabetische Retinopathie, Glaskörpertrübungen und andere Netzhauterkrankungen zu erkennen und zu behandeln.
Bei diesem Test wird dem Patienten eine Tafel gezeigt, auf der ein Gittermuster aus geraden Linien abgebildet ist. Der Patient wird gebeten, einen zentralen Punkt auf der Tafel zu fixieren und anzugeben, ob er das Muster verzerrt, verschwommen oder mit fehlenden Teilen sieht. Der Test kann mit Hilfe eines Amsler-Testgerätes oder einer Papierversion durchgeführt werden.
Der Amsler-Test ist eine einfache und schnelle Methode zur Erkennung von Veränderungen des zentralen Sehens und kann bei der Früherkennung von Erkrankungen vor dem Auftreten irreversibler Schäden hilfreich sein.
Säuglinge und Kleinkinder können können die Symbole noch nicht nennen. Es ist jedoch möglich, die Sehschärfe abzuschätzen, indem man ihnen eine Karte mit einer gestreiften und einer einfarbigen Seite vorlegt. Das Kind schaut in der Regel auf die gestreifte Seite, wenn es diese erkennen kann (preferential looking). Bei etwas älteren Kindern können bereits Bildsymbole oder auch E-Haken vorgelegt werden.
Bei etwas älteren Kindern können bereits Bildsymbole oder auch E-Haken verwendet werden.
Eine Visusminderung (Abnahme der Sehschärfe) kann bei einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten. Wichtig für die Unterscheidung sind die Anamnese (Befragung des Patienten) und die augenärztliche Untersuchung. Oft liegt eine Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit oder Stabsichtigkeit vor, die dann mit entsprechend geschliffenen Gläsern korrigiert werden kann. Ist dies nicht vollständig möglich, können z.B. neurologische Erkrankungen, Netzhauterkrankungen oder Trübungen der eigentlich transparenten Strukturen des Auges die Ursache sein.
Ist die Linse oder auch Hornhaut, Glaskörper oder Vorderkammer getrübt, so eignet sich der so genannte Retinometervisus dazu, die Funktion der sehfähigen Zellen am Augenhintergrund (Netzhaut) zu testen. Das Retinometer strahlt ein Streifenmuster aus Laserlicht ab, das in der Streifenbreite und in der Ausrichtung verstellt werden kann. Die dünnsten Streifen, die noch erkannt werden, stellen die ungefähre Sehfunktion der Netzhaut dar. Wichtig ist der Retinometervisus beispielsweise vor einer Operation am Grauen Star (Katarakt), bei dem es sich um eine Linsentrübung handelt.
Eine ungenaue, einfachere Methode besteht noch darin, mit einer hellen Lampe durch die Lederhaut zu leuchten, um zu testen, ob eine Aderfigur hervorgerufen werden kann oder nicht.
DOG, Neue DIN-Normen zur Sehschärfebestimmung, https://www.dog.org/wp-content/uploads/2010/02/WSB-Visustafeln_2010-06-30.pdf (Letzter Abruf: 17.03.23)
aktualisiert am 17.03.2023